Nicht die Ukraine-Krise oder der Griechenland-Crash, nicht die Energiewende oder die hohe Staatsverschuldung oder die Folgen des Klimawandels interessiert die Deutschen – das größte Vergnügen ist die öffentliche Demontage bekannter Persönlichkeiten. Das Internet mit seinen „Mitmach-Möglichkeiten“ in Form von Kommentaren und Blogs bietet dafür ein exzellentes Forum für diese Art öffentlicher Entrüstungskultur.
Namen gibt es in diesem Zusammhang viele, einige sind davon noch aktuell, andere sind schon fast wieder in Vergessenheit geraten. Wer war noch mal Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg und was hat er eigentlich getan – oder nicht getan, wie war das noch mal mit Annette Schavan?  Was haben Ex-Bundespräsident Christian Wulff, ZDF-Moderator Markus Lanz, Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, FC-Bayern-Chef Uli Hoeness und so manches Casting-Model gemeinsam? An ihrer öffentlichen Demontage haben viele Deutsche voller Genuss und Inbrunst mitgewirkt.
Nun hat der Diplom-Psychologe Leander März sich dieses Themas angenommen und ein erfrischen satirisches Buch darüber geschrieben: „Anleitung zur Gehässigkeit“, nennt es sich und deckt in sieben Gehässigkeitsregeln, das kollektive Verhalten der Deutschen auf . GreenMAG Chefredakteur Frank Tetzel hat es am Wochenende gelesen, sich amüsiert und über vieles nachgedacht. Ein lesenswertes kleines Büchlein.
„Nehmen Sie einen Täter, der tief fallen kann“, „Erklären Sie Mitleid als Verrat“, „Sprechen Sie Ihr eigenes Recht“ – diese und weitere Regeln gibt der Autor seinen Lesern an die Hand, um sie vermeintlich zu Experten des sozialen Lynchens zu befähigen. Deutlich wird, dass ein „Lynchvorgang“ am effektivsten ist, wenn er im spontan vernetzten Schwarm vollzogen wird. Dabei können sich die Beteiligten nicht nur am spektakulären Niedergang des Opfers erfreuen, sondern zugleich wahre Gemeinschaft erleben. Moral muss dabei kein Hindernis sein. Im Gegenteil, Moral kann zur schärfsten Waffe werden, um das Opfer endgültig zu erledigen.
Leander März sagt selbst: „Im März 1757 drängen sich Tausende in Paris um ein eigens für diesen Festtag errichtetes Schafott. Was gibt es zu sehen? Der Verurteilte Damiens, eines Mordanschlags auf König Ludwig XV schuldig, wird in einer mehrstündigen Prozedur öffentlich gefoltert und dann gevierteilt. Da sich die sechs Pferde als nicht stark genug für ihre Aufgabe erweisen, zieht sich das Geschehen so lang wie die Beine des armen Damiens, bis schließlich durch Nachhelfen mit der Säge Bewegung in die Sache kommt.
Dieses und andere Schauspiele boten sich dem Menschen der frühen Neuzeit kostenlos, wenn auch selten, und ließen sich – selige Zeit – damals noch weitgehend frei von Gewissensbissen genießen. Heute ist das anders: Todes- und Prügelstrafe sind in Europa längst abgeschafft. Die Tierquälerei ist fast vollständig in die Hände der Industrie übergegangen. Und selbst beim Boxen werden Handschuhe getragen. Als letztes Spielfeld der Grausamkeit bleiben uns daher nur soziale und emotionale Gemeinheiten – vor allem im Internet.“
Und weiter: „Ich stelle in meinem Buch die Regeln und Grundprinzipien vor, wie Menschen im Kollektiv auch ohne echte Gewalt die Demontage eines anderen zelebrieren können. Natürlich ist es kein Ratgeber im klassischen Sinne. Es will Ihnen nicht wirklich etwas beibringen. Beim Lesen werden Sie feststellen dass diese Anleitung den Verachtungsdiskurs unserer Tage eher karikiert. Mein Anliegen ist es, die Mechanismen im sozialen Lynchprozess zu entschlüsseln und bewusster zu machen. Angesichts der Intensität der Hassattacken auf Menschen im Web bedarf es einer konstruktiveren Debattenkultur. Meine Anleitung trägt dazu bei, wenn möglichst viele sie dafür nutzen, sich möglichst nicht an sie zu halten!“

Anleitung zur Gehässigkeit

ISBN 978-3-945181-04-1
Umfang: 136 Seiten
Format: 125×190 mm
Vivita Verlag 2014
Preis: 12,95 €/15,90 SFr