Vor dem New Yorker Klimaschutzgipfel positionieren sich in Deutschland die unterschiedlichsten Organisationen und NGO´s. Auf das starke zivilgesellschaftliche Engagement in Sachen Klimaschutz weist das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik hin. Soziale Netzwerke, Städte und Kommunen, Religionsgemeinschaften, Unternehmensallianzen und Staatenclubs erweitern Klimaschutzinitiativen und treiben die politischen Entscheidungsträger zum kraftvollen Handeln jenseits des Tagesgeschäfts an.
Die verantwortungsbewusste Politik gewinne dadurch ihrerseits wertvolle Verbündete bei der Überwindung des multilateralen Stillstands und bei der Gestaltung einer Zukunft ohne Klimachaos. Im Wechselspiel der jeweiligen Akteure könne ein ehrgeiziges Abkommen in Paris im nächsten Jahr durchaus gelingen. Dies zeige das neue Sondergutachten „Klimaschutz als Weltbürgerbewegung“ des Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), das  anlässlich des vom UN-Generalsekretär einberufenen Klimagipfels in New York an die Bundesregierung übergeben wurde.
Zum Hintergrund:Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) wurde 1992 im Vorfeld der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung („Erdgipfel von Rio“) von der Bundesregierung als unabhängiges wissenschaftliches Beratergremium eingerichtet. Der WBGU hat die Aufgabe globale Umwelt- und Entwicklungsprobleme zu analysieren und zur Lösung dieser Probleme Handlungs- und Forschungsempfehlungen zu erarbeiten.
Hans Joachim Schellnhuber und Dirk Messner sind die beiden Co-Vorsitzenden des WBGU.
In dem Papier empfiehlt der WBGU zugleich eine Doppelstrategie für die internationale Klimapolitik: Zum einen soll das geplante Pariser Abkommen den weltweiten Ausstieg aus den fossilen CO2-Emissionen festschreiben und somit als Wegweiser dienen. Zum anderen sollten zivilgesellschaftliche Initiativen gefördert werden, durch die sich Akteure Verantwortung aneignen und eigenständig Beiträge zu einer klimaverträglichen Lebens- und Wirtschaftsweise leisten.
eindeutiger Befund
„Der 5. Sachstandsbericht des IPCC hat unmissverständlich klar gemacht: inakzeptable Klimafolgen werden sich jenseits der 2 °C-Klimaschutzleitplanke häufen. Diese Risiken können nur vermieden werden, wenn bis spätestens 2070 die globalen CO2-Emissionen auf Null sinken,“ sagt der Co-Vorsitzende des WBGU, Hans Joachim Schellnhuber. Das Gutachten beschreibt, dass jedes Land, jede Kommune, jedes Unternehmen und jeder Bürger individuell „die Null schaffen“ müssen, wenn die Welt als Ganzes klimaneutral werden soll. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die 2°C-Klimaschutzleitplanke nur gehalten werden kann, wenn zahlreiche Länder – insbesondere die reichen OECD-Staaten – schon deutlich früher ihre Emissionen senken.
„Gesellschaftliche Akteure werden immer wichtiger, um einen ambitionierten Klimaschutz sicherzustellen“, sagt Dirk Messner, Co-Vorsitzender des WBGU und Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE). In dem Gutachten wird die Bandbreite der Initiativen aufgezeigt, die bereits jetzt für Klimaschutz sensibilisieren und mobilisieren. Ein Beispiel ist die von Universitäten ausgehende Divestitionsbewegung in den USA gegen die Förderung fossiler Energien: Unternehmensbeteiligungen aus dem fossilen Sektor werden zunehmend abgezogen, um nach Möglichkeit in nachhaltigeren Anlagen investiert zu werden.
Klimaschutz zum Gestaltungsfeld der Gesellschaft machen
„Jeder einzelne Verbraucher kann jedoch nicht nur durch sein Anlageverhalten Klimaschutz mitgestalten, sondern auch gezielt klimaschädliche Waren boykottieren oder klimaverträgliche Waren kaufen,“ sagt WBGU-Mitglied Ellen Matthies. Auch ein öffentliches Beschaffungswesen nach ökologischen Kriterien kann einen wichtigen Beitrag leisten und nicht zuletzt hat die Privatwirtschaft erhebliches Potenzial klimaverträgliche Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.
„Bei all diesen Initiativen übernimmt die Gesellschaft selbst Verantwortung, sie kann auf diese Weise internationale Klimadiplomatie ergänzen und wiederbeleben“, so WBGU-Mitglied Claus Leggewie. „Internationale Vereinbarungen im Rahmen der Vereinten Nationen bleiben für eine erfolgreiche Klimapolitik weiterhin unverzichtbar“, ergänzt WBGU-Mitglied Sabine Schlacke. Das Gutachten empfiehlt deshalb, das neue globale Klimaschutzabkommen als rechtsverbindliches Protokoll zur UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) auszugestalten und die 2 °C-Leitplanke ebenso wie ein konkretes Zieljahr für das vollständige Herunterfahren der CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern zu verankern.
Klagerechte für Sachwalter des Klimaschutzes gewähren
Darüber hinaus sollten in dem Abkommen die Vertragsstaaten dazu verpflichtet werden, wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen und die Rechenschaftspflicht gegenüber der Bevölkerung durch eine erleichterte Teilhabe von Nichtregierungsorganisationen am Verhandlungsprozess festzuschreiben. Auch sollte Sachwaltern des Klimaschutzes Klagerechte in Form von Verbandsklagen gewährt werden. Zudem sollte die Transparenz mittels eines Rechts auf Information verbessert werden.
Eine neue Verantwortungsarchitektur
Die dürftigen Fortschritte bei der internationalen Klimapolitik hängen mit der konventionellen vertikalen Verantwortungsarchitektur zusammen: Zukunftsgestaltung im Großen wird dabei von den Bürgern an die Repräsentanten delegiert, die aber häufig mit Rückverweis auf die „wahren“ Bedürfnisse der vertretenen Gemeinschaft ihre Gestaltung vernachlässigen. Somit entsteht eine Komplizenschaft zu Lasten künftiger Generationen. Deshalb muss die klassische Willensbildung durch horizontale Elemente ergänzt werden, also durch Bürgerbewegungen über die Ländergrenzen hinweg. Dadurch kann der reale Mangel an globaler Gestaltungsmacht, der bei der Klimapolitik so eklatant sichtbar wird, ausgeglichen werden. Zukunftsvorsorge wird so zum Projekt der ganzen Weltgesellschaft.
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks: „Mit dieser Forderung stößt der WBGU eine wichtige Debatte an. Auch wenn die Herausforderung aus heutiger Sicht immens erscheint, ist die langfristige Orientierung für eine erfolgreiche Klimapolitik von zentraler Bedeutung. Es reicht nicht, in den UN-Klimaverhandlungen jeweils nur auf die nächste Verpflichtungsperiode zu schauen. Es geht darum, dass alle gemeinsam und jeder für sich einen Pfad zur Klimaneutralität definiert – je früher, desto besser. Für Deutschland haben wir uns bereits darauf verständigt, einen langfristigen Klimaschutzplan zu erarbeiten. Diese Langfrist-Perspektive werden wir mit Nachdruck auch in die anstehenden UN-Klimaverhandlungen einbringen.“