Die Lehmarchitektur von Francis Dibiédo Kéré bildet eine kulturelle Brücke zwischen Afrika und Deutschland – nicht als Export, sondern als Projekt des gegenseitigen Austauschs.

Noch während des Architekturstudiums errichtete Francis Kéré sein erstes Gebäude: eine Schule in seinem Heimatdorf Gando in Burkina Faso. Damals haben ihn deutsche Kommilitonen wegen seines Interesses an Lehmhütten in Afrika belächelt. Heute gehört er zu den gefragtesten Protagonisten der internationalen Architekturszene: als Gastprofessor, Vortragender, Ausstellungsmacher und Architekt.

Kleine Schulen und medizinische Einrichtungen aus einfachen, lokal vorhandenen Materialien bilden noch immer den Schwerpunkt seiner Arbeit, doch sein Portfolio ist weitaus vielfältiger: Es umfasst die Weiterentwicklung des mit dem Künstler Christoph Schlingensief initiierten Operndorfs in Laongo, den Entwurf für das Parlamentsgebäude in Ouagadougou (der Hauptstadt von Burkina Faso) und einen Schutzbau für das UNESCO-Weltkulturerbe Meroe im Sudan. In Deutschland beschäftigt er sich mit der Umwandlung ehemaliger Kasernengelände in Wohnquartiere in Münster und Mannheim und plant einen temporären Theaterbau auf dem Tempelhofer Feld in Berlin.

Radikal und einfach

Trotz dieser kometenhaften Karriere ist Kéré geblieben, was er immer war: eng mit seinem eigenen Dorf Gando verbunden, neugierig auf die Welt und voller Energie, wenn es darum geht, über seine Projekte zu sprechen oder neue zu initiieren. 2003 hat er sein erstes Gebäude in einer internationalen Architekturzeitschrift aus Deutschland publiziert, ein Jahr später erfolgte die Verleihung des Aga Kahn AwardSeine bevorzugten Baustoffe sind Lehm, von den Einheimischen vor Ort zu Steinen gepresst, günstiges verzinktes Wellblech als Dachdeckung, Bewehrungsstahl für filigranes Fachwerk sowie einfache Betonkonstruktionen. Auch die in seinem Dorf üblichen Wasserkrüge aus Ton setzt er ein, um sie mit offenem Boden als Oberlichter in die Decke eines Bibliotheksgebäudes einzubetonieren. Sein Architekturkonzept: radikal einfach. Dennoch haben seine Gebäude mit den massiven orangefarbenen oder ockergelben Lehmwänden und dem darüber schwebenden luftig leichten Sonnendach einen unvergleichlichen Charme.

Operndorf

Das Operndorf aus der Vogelperspektive. Foto: Francis Kéré Architecture/ (CC BY-SA 3.0) by. wikepedia.org)

Natürlich und sozial

Wichtiger noch: Sie verbinden – indem sie die Bewohner mit in den Bau einbeziehen – höchste soziale Qualität mit nachhaltigen Klimakonzepten. Natürliche Lüftung und angenehmer Raumkomfort ohne aufwendige Technik, selbst in den heißesten Klimazonen, gehören zum Standard seiner herausragend gestalteten Architektur. Inzwischen hat Kéré sein Architekturrepertoire variiert und erweitert. Vor allem aber gelingt es ihm immer öfter, nicht nur einzelne Häuser, sondern ganze Ensembles zu realisieren, die, wie die Gehöfte in Burkina Faso, inmitten der Steppenlandschaft Wohnlichkeit und Sicherheit vermitteln.
Der internationale Erfolg von Francis Kéré begründet sich auf dem Zusammentreffen zweier Entwicklungen ganz unterschiedlichen Maßstabs, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Auf der einen Seite steht seine persönliche Biografie, die eines jungen Mannes aus Westafrika, der mit sieben Jahren sein Dorf verlässt, um als einziges Familienmitglied lesen und schreiben zu lernen. Nach einer Schreinerlehre erhält er als Zwanzigjähriger ein Stipendium für Deutschland und beginnt mit dreißig Jahren in Berlin ein Architekturstudium – fest entschlossen, das dort erworbene Wissen über nachhaltiges Bauen zum Wohl seiner afrikanischen Heimat einzusetzen.

Regional und international

Zeitgleich erweitert sich das bisher vorherrschende eurozentristische Weltbild der internationalen Kulturszene zu einer globalisierten post-kolonialen Auffassung: Die Documenta 11 in Kassel wurde 2002 erstmals von dem aus Nigeria stammenden Kurator und Autor Okwui Enwezor kuratiert. Dieser forderte eine neue Sicht auf das, was als „Hochkultur“ eingestuft wird und konfrontierte zeitgenössische Kunst mit der sogenannten Volkskultur. Sein Einfluss sorgte unter anderem dafür, dass auch zunächst regionale Auszeichnungen, wie der seit 1980 ausgelobte Aga Khan Award für Architektur in islamisch geprägten Ländern, auf zunehmendes Interesse im Westen stoßen.
Sponsoren und Auftraggeber findet Francis Kéré immer wieder in Deutschland, bei der Deutsch-Afrikanischen-Gesellschaft (DAFRIG), durch Kontakte zum Deutschen Archäologischen Institut (DAI), zu Privatpersonen und Stiftungen, nicht zuletzt durch den von ihm gegründeten Verein Schulbausteine für Gando.

Einfach und bescheiden

Francis Kéré liebt es, sein Engagement in die Welt zu tragen. 2013 hat er seine Arbeit im Rahmen der international gefragten TED- (Technology, Entertainment, Design) Konferenzen vorgestellt. Auch Ausstellungsgestaltungen liegen ihm am Herzen. Bereits 2008 nahm er an der Ausstellung Updating Germany teil, dem deutschen Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig. 2016 hat er mit Colourscape den Eingang des Philadelphia Museum of Art in überdimensionale bunte Stofflaternen getaucht. Die Ausstellung Radically Simple im Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne ist die erste große Gesamtschau seines Werks von den Anfängen in seinem Heimatdorf bis zu Projekten in Deutschland und China.
An einer deutschen Hochschule hat Francis Kéré gelernt, wie es möglich ist, in Subsahara-Afrika realistische Projekte zu aufzubauen und damit den Menschen in ihrer Heimat eine Zukunft zu bieten. Uns Deutsche lehrt er die Kunst der Einfachheit und Bescheidenheit. Er ist Brückenbauer zwischen den Kulturen, dessen Mission angesichts zunehmender Ausgrenzung und Diskriminierung in Deutschland in Zukunft noch wichtiger wird.

Autor

Frank Kaltenbach ist Architekt und Redakteur der internationalen Architekturfachzeitschrift DETAIL in München. Er lehrt an der Akademie der Bildenden Künste München Architektur- und Designgeschichte.
Goethe-Institut, Frank Kaltenbach.